Lärmschutzrechtliche Ausnahmebewilligung

Lärmschutzrechtliche Ausnahmebewilligung

Lärmschutzrechtliche Ausnahmebewilligung

1                  Einführung

Die Bauherrschaft soll Massnahmen zur Lärmreduktion bereits vor dem Erteilen einer Baubewilligung prüfen. Dies hält das Bundesgericht in einem neuen Entscheid fest. Eine lärmschutzrechtliche Ausnahmebewilligung ist grundsätzlich möglich. Die Bauherrschaft muss dafür aber nachweisen, dass alle verhältnismässigen Massnahmen nicht zu der erforderlichen Lärmreduktion führen.

2                  Was ist ein Immissionsgrenzwert?

Für bestimmte Lärmarten (z.B. Lärm von Strassen, von Gewerbe etc.) gibt es sog. Immissionsgrenzwerte. Diese legen die maximal zulässige Lärmbelastung fest.

3                  Könnte mein Grundstück betroffen sein?

Möchten Sie wissen, ob bei Ihrem Bauvorhaben der Immissionsgrenzwert überschritten und deshalb ein Lärmgutachten einzuholen ist? Gehen Sie dafür auf den GIS-Browser des Kantons Zürich und wählen dort die Karte «Lärmübersicht für Bauvorhaben» aus. Wenn Sie Ihre Adresse oder die Katasternummer Ihres Grundstücks eintragen, wird angezeigt, ob Lärmabklärungen notwendig sind, Aussenlärm für Schallschutz zu berechnen ist oder eine Lärmübersicht nicht verfügbar ist.

Kommt bei dieser Recherche heraus, dass ein Lärmgutachten notwendig ist, finden Sie hier die geeigneten Büros. (Kanton Zürich->Planen und Bauen->Baubewilligung->Private Kontrolle->Liste Befugte zur PK Energie und Schutz vor Lärm)

4                  Lärmschutzrechtliche Baubewilligung für neue Gebäude

Baubewilligungen dürfen nach Art. 22 des Umweltschutzgesetzes für neue Gebäude nur erteilt werden, wenn die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten sind. sind auf der Grundlage von Art. 22 Abs. 2 USG und Art. 31 Abs. 1 LSV möglich. Es gelten folgende Voraussetzungen:

  • Die lärmempfindlichen Räume – dies sind Räume in Wohnungen, ausgenommen Küchen ohne Wohnanteil, Sanitärräume und Abstellräume oder es sind Räume in Betrieben, wo sich Personen während längerer Zeit aufhalten – liegen von der Lärmquelle (Strasse) abgewandt.
  • Es werden zusätzliche Schallschutzmassnahmen getroffen.
  • Die Immissionsgrenzwerte sind eingehalten

Ausnahmen sind aber auch dann möglich, wenn der Immissionsgrenzwert nicht eingehalten ist. Es gibt noch einen weiteren Ausnahmetatbestand (Art. 31 Abs. 2 LSV):

  • Die Immissionsgrenzwerte sind trotz der Massnahmen überschritten.
  • Es liegt ein übermässiges Interesse an der Errichtung des Gebäudes vor.
  • Der Kanton stimmt zu.

5                  Lärmschutzrechtliche Ausnahmebewilligung und ihr Zweck

Art. 22 USG verlangt die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte. Alle Bauvorhaben, die die Immissionsgrenzwerte nicht einhalten, sind nicht bewilligungsfähig. Dies ist nicht in jedem Fall gewollt. Deshalb kommt eine Ausnahmebewilligung zum Zug, wenn die strikte Anwendung von Art. 22 USG im Einzelfall zu Härten führt. Zusätzlich beseitigen Ausnahmebewilligungen offensichtliche Unzweckmässigkeiten.

6                  Hinreichende Massnahmenprüfung

Die Bauherrschaft muss nachweisen, dass sie sämtliche verhältnismässigen baulichen und gestalterischen Massnahmen geprüft hat, um die Immissionsgrenzwerte einzuhalten. Sie muss darlegen, welche Massnahmen sie geprüft, gewählt oder verworfen hat. Wichtig ist, dass sie dabei auf die Bauparzelle und die vorgesehene Nutzung berücksichtigt.

Mögliche Massnahmen sind:

  • Zweckmässige Anordnung der lärmempfindlichen Räume: Hier geht es um eine Wahl der Gebäudeform und eines Grundrisses, welche den Lärm reduzieren. Beispiele sind geschlossene Gebäudeformen oder Terrassierungen mit genügend hohen Brüstungen. Möglich ist auch die Abwendung der lärmempfindlichen Räume von der Lärmquelle oder Zweckänderungen.
  • Bauliche Massnahmen: Solche behindern die Ausbreitung des Schalls zwischen Sende- und Empfangsort ausserhalb des Gebäudes. Beispiele sind Lärmschutzwände oder -dämme.
  • Gestalterische Massnahmen: Bei diesen Massnahmen geht es darum, wie das Gebäude gebaut ist. Beispiele sind abgewinkelte Fassaden oder eine alternative Grundrissgestaltung.
  • Ersatzmassnahmen: Es handelt sich um andere Massnahmen, die mit der Baubewilligung verknüpft werden können, um den Lärm zu reduzieren. Beispiele sind Auskragungen an Seitenfassaden, schallabsorbierende Deckenunterschichten der Balkone und Terrassenvordächer oder schalldichte Balkonbrüstungen.

7                  Zeitpunkt der Massnahmen

Ein Bericht über mögliche und verworfene Lärmschutzmassnahmen gemäss Ziff. 6 ist bereits im Rahmen von Projektwettbewerben, vor der Einreichung eines Baugesuchs oder spätestens vor Erteilung der Baubewilligung zu erstellen.

Der Massnahmennachweis zu diesem Zeitpunkt soll verhindern, dass ein Bauprojekt so entworfen wird, wie wenn keine übermässige Lärmbelastung besteht. Sonst könnte die Bauherrschaft später geltend machen, dass Lärmschutzmassnahmen unzumutbar sind und deshalb eine Ausnahmebewilligung verlangen.

8                  Verhältnismässigkeit der Massnahmen

Eine lärmschutzrechtliche Ausnahmebewilligung kommt nur dann in Betracht, wenn die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte unverhältnismässig wäre. Eine Massnahme zur Lärmreduktion ist nur dann verhältnismässig, wenn sie tatsächlich den Immissionsgrenzwert einhalten kann, aber die dafür mildeste mögliche Massnahme darstellt. Zudem muss sich eine Interessenabwägung für die Massnahme aussprechen. Eine unverhältnismässige Massnahme liegt dann vor, wenn auch ein weniger schwerer Eingriff eine Lärmreduktion bewirkt.

9                  Interessenabwägung

Werden die Immissionsgrenzwerte gemäss Ziff. 4 nicht eingehalten, müssen das Anliegen des Lärmschutzes und das Interesse an der Realisierung des Bauprojekts gegeneinander abgewogen werden. Je stärker die Immissionsgrenzwerte überschritten sind, desto gewichtigere Massnahmen braucht es, um ein Bauprojekt zu rechtfertigen.

Der Alarmwert ist aber in jedem Fall einzuhalten.

Für Baubewilligungsbehörden ist es wichtig, die wesentlichen Schritte ihrer Interessenabwägung (Ermittlung Beurteilung und Optimierung der Interessen) offenzulegen. Sonst besteht die Gefahr von Rekursen.

Für das Bauprojekt sprechen folgende Kriterien:

  • Schliessung einer Baulücke
  • Verdichtung der Nutzung der Siedlungsfläche
  • Siedlungsentwicklung nach innen unter Berücksichtigung einer angemessenen Wohnqualität
  • Akuter Bedarf an Wohnraum im urbanen Gebiet und bei geringer Überschreitung der Immissionsgrenzwerte

Je näher die betroffene Parzelle am Agglomerationsschwerpunkt liegt, desto höher sind die ersten drei Punkte zu gewichten.

Für den Lärmschutz sprechen:

  • eine starke Überschreitung des Immissionsgrenzwertes um 4 dB(A) – 6 dB(A)
  • Die Bauparzelle ist bereits der höchsten Empfindlichkeitsstufe III für Wohnbauten zugeteilt und die Immissionsgrenzwerte sind stark überschritten.

Je mehr die Immissionsgrenzwerte überschritten werden, desto höher wiegt der Lärmschutz in der Interessenabwägung.

Die zuständigen Behörden müssen auch Temporeduktionen auf der Strasse und den Einbau von lärmdämpfenden Strassenbelägen prüfen.

10              Zustimmung des Kantons für eine lärmschutzrechtliche Ausnahmebewilligung

Damit verhindert wird, dass die Gemeinde sowohl der Baubewilligung als auch der Ausnahmebewilligung zustimmt, muss der Kanton zustimmen.

11              Exkurs: revidierte Lüftungsfensterpraxis des Kantons Zürich

Die Lärmbelastung ist an sämtlichen offenen Fenstern aller lärmempfindlichen Räumen zu prüfen. Das am stärksten lärmexponierte Fenster zur Bemessung heranzuziehen.

Damit in lärmbelasteten Gebieten Überbauungen möglich sind, wird neu eine Ausnahmebewilligung aus Gründen der Siedlungsentwicklung nach innen verlangt.

12              Empfehlungen für die Praxis

  • Ein Lärmgutachten ist vor Erteilung der Baubewilligung einzureichen, wenn das Baugrundstück zur Empfindlichkeitsstufe III gehört.
  • Ab einer Überschreitung der Immissionsgrenzwerte um mehr als 5 dB(A) ist ein Bauvorhaben problematisch, aber nicht grundsätzlich unmöglich.
  • Ab einer Überschreitung von 7-8 dB (A) ist ein Bauvorhaben nicht möglich.
  • Gemeinden und Kanton müssen Temporeduktionen auf der Strasse und lärmdämpfende Strassenbeläge prüfen.

Möchten Sie diese Ausführungen mit den rechtlichen Quellen haben? Dann finden Sie die Entscheidbesprechung hier.

 

 

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Irene Widmer, Rechtsanwältin für Baurecht